Überblick
Seitdem aus einer Studie von 1971 hervorging, dass das Rauchen von Marihuana den Augeninnendruck reduziert, ist der Einsatz von Cannabis bei Glaukom (Grüner Star) ein beliebtes Thema.
In der Tat ist es heute allgemein anerkannt, dass die Einnahme von Cannabis den Augeninnendruck für mehrere Stunden senkt. Insbesondere belegen jüngste Forschungen, dass das Endocannabinoid-System des Körpers mit der Augengesundheit zusammenhängt und folglich der Ansatz mit Cannabinoiden und anderen Stoffen bei Glaukom hilfreich sein könnte.
Das Endocannabinoid-System
Das Endocannabinoid-System wurde in den 1990er Jahren entdeckt und beschreibt ein Netzwerk von Rezeptoren, Endocannabinoiden und Enzymen, die die Synthese und Zerlegung dieser Verbindungen steuern.
Dieses System spielt eine zentrale Rolle für die Gesundheit des Menschen, da es dem Körper hilft, die Homöostase zu regulieren – ein gesundes inneres Gleichgewicht. Forschungen zeigen, dass das Endocannabinoid-System an vielen Schlüsselprozessen beteiligt ist, wie z.B. an der kognitiven Funktion, der Immunität, dem Schmerz, dem Schlaf und sogar der Augengesundheit.
Bisher wurden zwei primäre Cannabinoid-Rezeptoren identifiziert: CB1 und CB2. Während CB1 im zentralen Nervensystem reichlich vorkommt, ist CB2 in Immunzellen verbreitet. Diese Rezeptoren reagieren auf Anandamid und 2-AG – die beiden Endocannabinoide, die in unserem Körper gebildet werden. Darüber hinaus interagieren sie auch mit Phytocannabinoiden. Das sind Cannabinoide, die aus der Cannabispflanze stammen, wie beispielsweise THC und CBD.
Das Endocannabinoid-System und Glaukom
Alle Bestandteile des Endocannabinoid-Systems, einschließlich Rezeptoren, Endocannabinoide und Enzyme, sind auch im Augengewebe vorhanden. Das deutet darauf hin, dass sie eine Rolle bei der gesunden Augenfunktion spielen.
Noch wichtiger sind Hinweise darauf, dass die Glaukom-Erkrankung die Funktion des Endocannabinoid-Systems beeinflusst. Es gibt z.B. eine Studie, die die Werte von
2-AG, Anandamid und PEA, einer mit Anandamid eng verwandten Verbindung, bei normalen und glaukomatösen Augen verglich.
Obwohl die AEA-Werte ähnlich waren, wiesen erkrankte Augen ein geringeres Vorkommen von 2-AG- und PEA im sogenannten Ziliarkörper auf, einem Teil des Auges, der bei der Regulierung des Augeninnendrucks wichtig ist. Der PEA-Wert war auch in der Aderhaut, eine der äußeren Schichten des Auges, niedriger.
Noch interessanter sind die Beobachtungen einer Studie an Ratten mit okulärer Hypertension, eine Erkrankung, die Augenschäden ähnlich dem akuten Glaukom beim Menschen verursacht. In diesem Experiment führte die Hypertonie zu einem Anstieg von FAAH, ein Enzym, das Anandamid abbauen kann, sowie zu einem Rückgang der CB1-Rezeptoren.
Nach der Verabreichung einer Verbindung die FAAH blockiert oder einer, die anandamid-ähnlich ist, nahmen die Netzhautschäden ab. Dies deutet darauf hin, dass Glaukom den Anandamid-Spiegel in der Netzhaut senkt und dies wiederum zu einer Schädigung der Netzhautzellen beiträgt.
Aufgrund solcher Ergebnisse nehmen Wissenschaftler an, „dass es möglich sein könnte, glaukomatöse Verläufe durch therapeutische Modifikationen des Endocannabinoid-Systems zu verbessern“.
Das Endocannabinoid-System & Glaukom
Forschungen zeigen, dass das Endocannabinoid-System bei der Glaukom-Behandlung auf zwei Arten helfen kann: durch Verringerung des Augendrucks und durch Neuroprotektion.
Eine Studie aus dem Jahr 1996 beschrieb beispielsweise, dass die topische Anwendung anandamid-ähnlicher Verbindungen auf Augen von Kaninchen zu einer deutlichen Senkung des Augeninnendrucks führte. Das bestätigt wiederum, dass das Endocannabinoid-System diesen Prozess reguliert. Ebenso belegten zahlreiche Studien, dass Cannabis und THC die gleiche Wirkung erzielen.
Darüber hinaus berichten aktuelle Studien von der sogenannten Neuroprotektion. Das Endocannabinoid-System kann demnach als Schutz vor Neuronenschädigungen wirken.
Glaukom führt meist dadurch zur Erblindung, da es bestimmte Nervenzellen im Auge zerstört, nämlich die retinalen Ganglienzellen (RGCs). Diese Zellen können auch dann noch absterben, wenn der Augeninnendruck durch Medikamente gesenkt wird.
Offenbar kann das Endocannabinoid-System diese Neuronen vor Schäden schützen, die das Glaukom verursacht. Versuche an Ratten ergaben, dass das Blockieren des FAAH-Enzyms den Anandamid-Spiegel erhöht und die RGCs vor dem Schaden schützt.
Zusammenfassend machen die jüngsten Forschungsergebnisse klar, dass die Einwirkung auf das Endocannabinoid-System durch die Erhöhung von Endocannabinoiden oder die Zufuhr von Phytocannabinoiden für Glaukom-Patienten von Nutzen sein kann. Demzufolge stellen medizinische Cannabis-Präparate eine hilfreiche Option dar.
Cannabis & Glaukom
Den ersten Hinweis darauf, dass Cannabis an Glaukom erkrankten Menschen helfen kann, fand man 1971, als Forscher entdeckten, dass das Rauchen von Cannabis zu einer signifikanten Senkung des Augeninnendrucks führte.
Viele Folgestudien untermauerten seitdem diese Entdeckung mit injiziertem, äußerlich angewandtem und inhaliertem Cannabis oder THC.
Was die neuroprotektive Wirkung von Cannabis betrifft, so beschränkt sich die aktuelle Forschung auf Tier- und Zellkulturstudien. So untersuchte eine Studie, ob durch THC oder CBD Neuronenschäden verhindert werden können, die durch Glutamat entstehen, ein Stoff, der bei Glaukom zum neuronalen Zelltod beiträgt. Man stellte fest, dass beide Cannabinoide die Neuronen schützten.
Obwohl solche Ergebnisse nicht so eindeutig sind wie die Auswirkungen von Cannabis auf den Augeninnendruck, gibt es genügend Beweise dafür, dass sowohl Endo- als auch Phytocannabinoide Neuroprotektion für durch Glaukom geschädigte Netzhautzellen bieten können.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass alles darauf hindeutet, dass THC das primäre Cannabinoid ist, das für die drucksenkende Wirkung von Cannabis verantwortlich ist. CBD hingegen kann den Augeninnendruck tatsächlich erhöhen.
Eine Studie aus dem Jahr 2006 ergab zum Beispiel, dass die sublinguale (unter der Zunge) Verabreichung von THC den Augendruck senkte, CBD aber bei höheren Dosen entweder keine Wirkung hatte oder tatsächlich zu erhöhtem Druck führte. Ähnlich fand man durch kürzliche Versuche an Mäusen heraus, dass die topische Anwendung von CBD den Augeninnendruck erhöht.
Das bedeutet jedoch nicht, dass CBD zu verwerfen wäre, denn schließlich hat es eine neuroprotektive Wirkung. Vielmehr werden wir immer mehr dahin geführt, Cannabis-Präparate aus der ganzen Pflanze in Betracht zu ziehen, d.h. Präparate, die gewisse THC- und CBD-Mengen und alle anderen aktiven, in der Pflanze vorkommenden, Wirkstoffe miteinander kombinieren.
Insgesamt deutet die heutige Forschung darauf hin, dass Cannabis bei Glaukom-Patienten sowohl zur Senkung des Augeninnendrucks als auch zum Schutz von Nervenzellen dienen kann. Allerdings wird die medizinische Anwendung durch Nebenwirkungen eingeschränkt.
Nebenwirkungen
Obwohl Medizinforscher weiterhin optimistisch sind, was das Potenzial von Cannabis bei der Glaukom-Behandlung angeht, stehen Augenärzte dem Einsatz der Pflanze aufgrund der Nebenwirkungen insgesamt skeptisch gegenüber.
Vor allem ist Cannabis für seine psychoaktiven Effekte wie Angst, Paranoia, Gedächtnisschwäche und Euphorie bekannt, allgemein als „High“-Gefühl bezeichnet. Weitere Nebenwirkungen sind erhöhte Herzfrequenz, Herzrasen und niedrigerer Blutdruck. Entscheidend ist, dass ein niedrigerer Blutdruck die Durchblutung des Sehnervs verringern kann, was die Vorteile einer Senkung des Augeninnendrucks wieder zunichtemacht.
Diese Nebenwirkungen sind problematisch, weil die drucksenkende Wirkung von Cannabis nur etwa drei bis vier Stunden anhält. Da der Augeninnendruck bei Glaukom permanent reguliert werden muss, müssten Cannabis-Konsumenten folglich immer unter diesen Problemen leiden.
Das Gewicht dieser Nebenwirkungen wurde durch eine Studie hervorgehoben, in der neun Glaukom-Patienten THC-Kapseln einnahmen oder Cannabis rauchten. Alle neun Teilnehmer entschieden sich dafür, die Behandlung nach ein bis neun Monaten einzustellen.
Legale Verwendung
Aufgrund der oben beschriebenen Nebenwirkungen empfiehlt die American Academy of Ophthalmology – die weltweit größte Vereinigung von Augenärzten – den Einsatz von Cannabis bei Glaukom nicht. Dieser Standpunkt wird auch von Organisationen in anderen Ländern vertreten, wie der Canadian Ophthalmological Society.
Allerdings erlaubt die überwiegende Mehrheit der Länder, in denen Cannabis medizinisch verwendet wird, darunter Kanada, Deutschland und die Niederlande, Ärzten, Cannabis bei Glaukom zu verschreiben. Es gibt nur wenige Ausnahmen davon, wie z.B. das Vereinigte Königreich, wo medizinisches Cannabis nur für einige wenige Krankheiten erhältlich ist.
In den USA ist der Gebrauch von medizinischem Cannabis bei Glaukom in Washington, D.C. und 30 Staaten erlaubt: Alaska, Arizona, Arkansas, Kalifornien, Colorado, Connecticut, Delaware, Florida, Hawaii, Illinois, Louisiana, Maine, Maryland, Massachusetts, Michigan, Minnesota, Missouri, Montana, Nevada, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, North Dakota, Ohio, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, Washington, West Virginia und Vermont.
Fazit
Die neuere Forschung zeigt uns, dass die Beeinflussung des Endocannabinoid-Systems ein vielversprechender Weg zur Behandlung des Glaukoms ist. Studien belegen, dass wir mit diesem System nicht nur den Augeninnendruck senken, sondern auch die Neuroprotektion unterstützen können.
Letzteres ist besonders bedeutsam, da manche Glaukom-Patienten auch nach einer Verringerung ihres Augeninnendrucks dennoch einen Sehverlust erleiden. Daher besteht Bedarf an Arzneimitteln, die sowohl den Augeninnendruck als auch neuronale Schäden behandeln.
Obwohl Cannabis ein potenzieller Kandidat für ein solches Arzneimittel ist, ist sein Nutzen derzeit durch seine kurze Wirkungsdauer und starken Nebenwirkungen begrenzt. Aus diesem Grund empfehlen Augenärzte nicht, Cannabis bei Glaukom einzusetzen.
Das schließt Cannabis jedoch nicht völlig aus. Derzeit wird eine Vielzahl von Verbindungen erforscht, die das Endocannabinoid-System beeinflussen, darunter Phytocannabinoide, synthetische Cannabinoide und Stoffe, die die Endocannabinoid-Aktivität erhöhen.
Es ist durchaus möglich, dass in der Zukunft ein auf Cannabinoid basierendes Arzneimittel mit längerer Wirkung und weniger Nebenwirkungen entwickelt wird.
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