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Sativa oder Indica: Was ist der Unterschied?

Sativa oder Indica: Was ist der Unterschied?

Jeder, der auch nur im Entferntesten mit Cannabis vertraut ist, weiß wahrscheinlich, dass die Cannabis-Stämme in zwei verschiedene Gruppen unterteilt werden: Sativa und Indica. Viele Cannabiskonsumenten nutzen diese beiden Unterscheidungen, um genauer abschätzen zu können, welche Auswirkungen eine bestimmte Sorte auf sie haben könnte. Viele Leute sagen sogar, dass sie Sativa gegenüber Indica vorziehen oder umgekehrt.

Es wird allgemein angenommen, dass Sativa-Stämme aufmunternd wirken und einen Rausch im Gehirn erzeugen, der ideal für Aktivitäten, soziale Treffen und kreative Projekte ist, während Indica-Stämme eher entspannend wirken und ihre berauschende Wirkung im ganzen Körper zu fühlen ist, so dass sie besser dazu geeignet sind, sich am Ende des Tages zu entspannen und einzuschlafen.

Doch obwohl dieser Glaube tief in der Mainstream-Cannabiskultur verwurzelt ist, gibt es eigentlich keine wissenschaftlichen Beweise, die diese Unterscheidung unterstützen. Tatsächlich zeigt die Forschung, dass es viele andere Faktoren gibt, aufgrund derer ein spezifischer Stamm bestimmte Wirkungen hat – wobei die Tatsache, ob es sich um eine Sativa- oder Indica-Pflanze handelt, grundsätzlich keine Rolle spielt.

Also, was ist die wahre Geschichte hinter Sativa und Indica? Wie unterscheiden sie sich wirklich? Und was sagt die Wissenschaft eigentlich darüber, wie und warum Stämme uns unterschiedlich beeinflussen? Beginnen wir am Anfang.

Die Ursprünge von Indica und Sativa

Cannabis wird bereits seit Jahrtausenden angebaut. Archäologische Beweise zeigen, dass Chinesen und Japaner die Pflanze bereits in der vorneolithischen Zeit benutzt haben.  

Doch erst in der Renaissance prägte ein deutscher Botaniker namens Leonardt Fuchs den Begriff „Sativa„, um domestizierten Hanf zu bezeichnen.

Später, im 18. Jahrhundert, übernahm der schwedische Botaniker Carl Linnaeus in seinem Buch Species Plantarum den Begriff Cannabis Sativa als lateinischen Namen für Hanf. „Sativa“ bedeutet auf Lateinisch einfach „kultiviert“ und bezieht sich auf die in Europa und Westeuropa angebauten Hanfkulturen, die für ihre Fasern und Samen angebaut wurden.

cannabis sativa
Gera-Untermhaus, FE Köhler 1887

Etwa 30 Jahre später veröffentlichte Jean-Baptiste Lamarck eine Beschreibung dessen, was er für eine zweite Cannabisart hielt, nämlich Cannabis Indica. Cannabis Indica bedeutet im Lateinischen „von Indien“ und bezog sich auf die in Indien entdeckte, wild wachsende psychoaktive Sorte von Cannabis, die zur Herstellung von Haschisch verwendet wurde.

Da diese beiden Cannabispopulationen jahrhundertelang geografisch voneinander getrennt gehalten wurden, ermöglichte die natürliche und künstliche Selektion die Entwicklung dieser beiden sehr unterschiedlichen Cannabisarten.

Dennoch streiten sich die Botaniker seit jeher darüber, ob es sich bei Cannabis Sativa und Cannabis Indica tatsächlich um zwei verschiedene Arten handelt oder ob Cannabis Indica einfach eine Unterart der Pflanze ist. Bis heute ist dies immer noch ein Thema heißer Debatten.

Um die Sache noch komplizierter zu machen, wurde 1924 eine dritte Cannabisart mit dem Namen Cannabis Ruderalis vom russischen Botaniker D. E. Janischewsky klassifiziert. Ruderalis bedeutet im Grunde genommen „Schutt“, denn Ruderalpflanzen sind die ersten Pflanzen, die „aus dem Schutt“ in Gebieten wachsen, die von anderer Vegetation befreit wurden. Ruderalis ist eine selbstblühende Cannabissorte, die in Osteuropa wild wächst und erstmals in Sibirien entdeckt wurde.

Wie wir die Begriffe heute verwenden

Heute wissen wir, dass der Begriff Sativa ursprünglich für Hanf verwendet wurde, während Indica als Name für die psychoaktive Cannabissorte zum Einsatz kam. Das bedeutet, dass fast alle heute aufgenommenen Cannabissorten tatsächlich von dem ursprünglichen Cannabis-Indica-Stamm stammen, während die ursprünglich als Cannabis-Sativa bekannte Pflanze weitgehend industriell für Hanf als Faser, Nahrung und auch für CBD verwendet wird.

Aber in der modernen Welt haben sich diese Begriffe verändert und bedeuten mittlerweile  etwas ganz anderes. Irgendwann auf dem Weg dorthin – als der Konsum von Cannabis zunahm und die Cannabiskultur sich über die ganze Welt verbreitete – haben sich die Begriffe Sativa und Indica zu einer Möglichkeit entwickelt, die Tausenden von Cannabissorten zu kategorisieren, die heute auf dem Markt erhältlich sind.

Sativa Heute

  • Ursprünglich klassifiziert als Cannabis Indica ssp. Indica
  • Groß und dünn, erreicht eine Höhe von 5 bis 18 Fuß oder mehr
  • Lange und schmale Blätter
  • Weniger Zweige
  • Häufig damit verbundene Effekte: Belebend, stimulierend, „mind high“, unterstützt Produktivität und Kreativität.

Indica Heute 

  • Ursprünglich klassifiziert als Cannabis Indica ssp. afghanica
  • Kurz und buschig, erreicht eine Höhe von 2 bis 4 Fuß. 
  • Breite Blätter 
  • Die Knospen sind in der Regel breiter.
  • Weiter verzweigt
  • Häufig damit verbundene Effekte: Entspannend, beruhigend, schmerzlindernd, schlaffördernd.

Was sagt die Forschung dazu?

Obwohl die Annahme, dass Sativa und Indica unterschiedliche inhärente Eigenschaften und Wirkungen haben, weit verbreitet ist, gibt es keine wissenschaftlichen Beweise, die dies bestätigen. Es ist eigentlich nur ein sehr beliebter Mythos.

„Es gibt biochemisch unterschiedliche Cannabissorten, aber die Unterscheidung von Sativa/Indica, wie sie in der Laienliteratur üblich ist, ist völliger Unsinn und sinnlos“, erklärt Dr. Ethan Russo, MD, ein Experte für das menschliche Endocannabinoid-System. „Man kann den biochemischen Gehalt einer bestimmten Cannabispflanze aufgrund ihrer Höhe, Verzweigung oder Blattmorphologie derzeit in keiner Weise erraten. Der Grad der Mischung/Hybridisierung ist so bemessen, dass nur ein biochemischer Test einem potenziellen Verbraucher oder Wissenschaftler sagt, was sich wirklich in der Pflanze befindet.“

Kurz gesagt, der einzige wahre Unterschied zwischen Sativa und Indica Cannabispflanzen ist ihr Aussehen und ihr Wachstum – Sativas werden lang und hoch, während Indicas kurz und buschig sind. Außerdem sind alle Cannabissorten, mit denen wir heute vertraut sind, längst zu Hybriden aus verschiedenen Kombinationen von verschiedenen Sativas und Indicas geworden.

Wenn also die Sativa/Indica-Klassifikation nicht dazu geeignet ist, um die Auswirkungen einer bestimmten Cannabissorte auf Sie zu bestimmen, welche Faktoren spielen dann eine Rolle?

In Wirklichkeit ist eine Kombination aus drei Faktoren für die Wirkung von Cannabissorten verantwortlich: das chemische Profil, Ihre eigene Biologie und Toleranz sowie die Methode, die Sie benutzen, um das Cannabis zu konsumieren.

Das chemische Profil von Cannabis

Beginnen wir mit dem chemischen Profil. Cannabis besteht aus Hunderten von chemischen Verbindungen, die zu einer Vielzahl von verschiedenen therapeutischen und erholsamen Wirkungen führen, die man mit Hilfe jedes bestimmten Stamms erleben kann. Einer der Hauptverantwortlichen für diese Effekte sind die sogenannten Cannabinoide.

THC (Δ9-tetrahydrocannabinol) ist das psychoaktive Cannabinoid, das den Konsumenten ein euphorisches Gefühl vermittelt und Schmerzen und Ängste lindern kann. Zu viel THC kann jedoch Schwindel und andere Nebenwirkungen verursachen. 

CBD (Cannabidiol) ist nicht berauschend, kann aber Angstzustände lindern und antipsychotische und antidepressive Wirkungen haben; CBD reduziert auch Entzündungen und Schmerzen.

Das Verhältnis der THC- und CBD-Niveaus innerhalb eines bestimmten Cannabis-Stammes kann Ihnen viel mehr darüber sagen, wie seine erwarteten Wirkungen aussehen können, anstatt sich einfach darauf zu verlassen, ob der Stamm eher Sativa oder Indica ist.

Neben Cannabinoiden enthält Cannabis auch aromatische Verbindungen, die Terpene genannt werden. Sie sind dafür verantwortlich, dass die verschiedene Cannabissorten nach Zitrusfrüchten, Kiefern, Treibstoff usw. riechen. Der Terpenoidgehalt einer Sorte spielt eine wichtige Rolle bei den verschiedenen Wirkungen (belebend gegenüber beruhigend),  die die Cannabiskultur üblicherweise (und fälschlicherweise) Sativas und Indicas zuschreibt.  

Es gibt Personen, die behaupten, dass Indicas einen beruhigenden Effekt haben, weil sie ein höheres CBD-Niveau besitzen, aber dabei handelt es sich auch um einen Mythos – dieser Effekt wird tatsächlich von den Terpenen hervorgerufen.

„Die beruhigende Wirkung  der sogenannten Indica-Stämme wird fälschlicherweise dem CBD-Gehalt zugeschrieben, obwohl CBD in niedrigen und mittleren Dosen tatsächlich stimulierend wirkt“, erklärte Dr. Ethan Russo im obigen Interview. „Vielmehr ist die beruhigende Wirkung der meisten gängigen Cannabissorten auf ihren Gehalt an Myrzen zurückzuführen, ein Monoterpen mit stark beruhigendem Couch-Lock-Effekt, das an ein Narkotikum erinnert. Im Gegensatz dazu wird ein hoher Limonengehalt (häufig bei Zitrusschalen) die Stimmung heben.“

Flavonoide spielen auch eine wichtige Rolle, wenn es um Geruch, Geschmack und Wirkung von Cannabis-Stämmen geht. Flavonoide sind nicht so gut erforscht wie Cannabinoide und Terpene, aber bisher haben Forscher etwa 20 verschiedene Flavonoide in Cannabis identifiziert, die verschiedene medizinische Wirkungen haben. Zum Beispiel sind einige Flavonoide entzündungshemmend, während andere Angstzustände lindern können. 

Die Synergien verschiedener Cannabinoide, Terpene, Flavonoide und zusätzlicher Phytochemikalien arbeiten zusammen, um die einzigartigen und vielfältigen subjektiven und medizinischen Effekte zu erzielen, die jede einzelne Cannabissorte haben kann.

Weitere Faktoren, die eine Rolle spielen

Die persönliche Biologie und Toleranz jeder einzelnen Person gegenüber Cannabis spielt auch eine Rolle dabei, wie sich verschiedene Sorten auswirken. Personen mit hoher Toleranz können keine Auswirkungen spüren, während empfindliche Benutzer sehr starke Wirkungen spüren können, obwohl sie den gleichen Stamm und die gleiche Dosierung benutzen. 

Daher ist es wichtig, dem chemischen Profil von Stämmen Beachtung zu schenken, anstatt sich darauf zu konzentrieren, ob es sich um Sativa oder Indica handelt. Stämme mit hohem THC-Gehalt werden viel stärkere psychoaktive Wirkungen haben als Stämme mit niedrigem THC-Gehalt. Stämme mit hohem CBD-Gehalt können Schmerzen lindern, ohne gleichzeitig ein „High“ zu erzeugen.

Die Art der Konsumierung beeinflusst ebenfalls, wie und für wie lange Cannabis sich auf Sie auswirkt. Das Rauchen oder Vapen von Cannabis wird eine kurzfristigere und schnellere Wirkung haben, während es bei oraler Einnahme eine Weile dauert, bis die Auswirkungen zu spüren sind, diese dann aber über einen längeren Zeitraum anhalten.

Was sind Hybridstämme?

Cannabis allergies affect people working with hemp
(Stokkete/123rf)

Die Wahrheit ist, dass so ziemlich alle Cannabissorten, die heute existieren, Hybride von Sativa und Indica sind.

Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind die so genannten „Landsorten“- Stämme. Bei „Landsorten“-Stämmen handelt es sich um die ursprünglichen alten Stämme, die nicht gekreuzt wurden und somit eine weniger verdünnte DNA aufweisen. Sie sind im Grunde die Vorfahren aller modernen Hybrid-Sorten, die wir heute kennen. Zu den „Landsorten“-Arten gehören unter anderem Hindu Kush, Pure Afghan, Acapulco Gold und Panama Red. Sie sind heute recht selten.

Aber abgesehen von den „Landsorten“-Stämmen züchten Cannabis-Anbauer seit Hunderten von Jahren selektiv Cannabissorten, um Hybride mit neuen und einzigartigen Effekten und Eigenschaften zu erzeugen. Bestimmte Stämme wurden zum Beispiel gezüchtet, um eine spezielle Wirkung für medizinische Zwecke zu erzielen. Der Stamm Charlotte’s Web wurde speziell zur Behandlung von Epilepsie gezüchtet.

Das Fazit

Die Forschung steht noch ganz am Anfang, wenn es darum geht, die Auswirkungen von Cannabis zu verstehen. Allerdings haben die bisherigen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten gezeigt, dass die Tatsache, ob eine Sorte zu Sativa oder Indica gehört, sehr wenig Einfluss darauf hat, wie ihre Wirkung aussehen wird.

Stattdessen hilft die Untersuchung der Verhältnisse des chemischen Profils eines Stammes den Konsumenten, sich über die möglichen Auswirkungen zu informieren. Dies ist besonders nützlich, wenn Sie nach der besten Sorte suchen, um Ihr gesundheitliches Problem zu lindern.

„Ich möchte die wissenschaftliche Gemeinschaft, die Presse und die Öffentlichkeit nachdrücklich dazu ermutigen, die Sativa/Indica-Nomenklatur aufzugeben und darauf zu bestehen, dass genaue biochemische Auflistungen  der Cannabinoid- und Terpenoidprofile der Cannabis-Sorten sowohl im medizinischen Bereich als auch für Freizeit-Konsumenten verfügbar sind“, sagte Dr. Russo. „Dies ist das mindeste, was die wissenschaftliche Genauigkeit und öffentliche Gesundheit erfordern.“

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