Soll die Krankenkasse die Kosten für die Cannabis-Therapie übernehmen, muss der Patient zunächst einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Leider lehnen die gesetzlichen Krankenkassen immer noch einen Großteil der Anträge ab. Patienten können sich allerdings wehren – durchaus mit Erfolg
Eigentlich müssten Krankenkassen Patienten und Patientinnen Cannabis in verschiedener Form als Therapieleistung bewilligen, wenn der Arzt dies für medizinisch erforderlich hält. Die Rechtsgrundlage ist § 31 Abs 6 SGB V. Doch jeder dritte Antrag endet mit einem negativen Bescheid. Lehnt die Kasse ab, müssen Versicherte zum Glück nicht klein beigeben. Sie können dem Bescheid widersprechen und selbst eine wiederholte Ablehnung ohne großes Kostenrisiko anfechten. Häufig lohnt sich das.
Der Ansatz, keinen Widerspruch einzulegen oder den Widerspruch zurückzunehmen, ist nicht zu empfehlen. Die Hoffnung dabei ist bisweilen, dass ein erneuter Antrag von der Krankenkasse bewilligt wird. Der Glücksfall tritt aber eher selten ein, es sei denn, es haben sich in der Zwischenzeit neue Aspekte ergeben. Im Gegenteil: Die erste Ablehnung wirkt sich in der Regel auf spätere Anträge negativ aus.
Diese Anleitung zeigt Punkt für Punkt, worauf Sie und Ihr Arzt schon bei Ihrer Antragstellung achten sollten, wie Sie in einem Widerspruchsverfahren ihre Ansprüche geltend machen und wie Sie bei einer erneuten Absage der Kasse Klage einreichen können.
1. Antrag und Fragebogen gut vorbereiten und begründen
Kontaktieren Sie im ersten Schritt Ihre Krankenkasse und erkundigen Sie sich, wie Sie eine Kostenübernahme beantragen können. Sie sollten auch vorab klären, welche Unterlagen für eine Prüfung relevant sind. Dies können Arztberichte, eine Auflistung der bisher eingesetzten Arzneimittel, Krankenhausberichte, Heil- und Hilfsmittelverordnungen oder Arbeitsunfähigkeitszeiten sein. Im Anschluss schickt Ihnen die Krankenkasse evtl. ein Kostenübernahmeformular und den erforderlichen Arztfragebogen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V, amtliche Bezeichnung „Ärztliche Bescheinigung gemäß § 31 Abs. 6 SGB V“, den Ihr Arzt zusammen mit Ihnen ausfüllt. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) prüft die Angaben und gibt eine Empfehlung ab, die für die Krankenkasse jedoch nicht bindend ist.
Der Fragebogen des MDK hat seine Tücken – das ist der Hauptgrund, weshalb so viele Bewilligungsanträge scheitern. Hinzu kommt, dass nicht jeder Arzt, der den Arztfragebogen ausfüllt, mit den Entscheidungskriterien des MDK vertraut ist. Umgekehrt gilt, dass man sich das Widerspruchsverfahren sparen kann, wenn der erste Bewilligungsantrag wirklich richtig ausgefüllt und alle notwendigen Befunde und Unterlagen vollständig sind. Unser Artikel „Hilfe bei der Hürde Fragebogen” hilft Ihnen und Ihrem Arzt beim Ausfüllen. (hier wäre es gut, einen noch zu schreibenden Artikel verlinken)
2. Keine fristgerechte Antwort – dann gilt der Antrag als genehmigt
Die Krankenkasse hat nach §13 Abs. 3a SGB V drei Wochen Zeit für die Bearbeitung Ihres Antrags – wenn sie den MDK zu Rate holt, was zumeist geschieht, verlängert sich die Frist auf fünf Wochen. Über Anträge im Rahmen einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) muss innerhalb von drei Tagen entschieden werden. Hier gibt es in der Regel keine Probleme bei der Kostenübernahme.
Entscheidet die Kasse nicht vor Ablauf der Frist schriftlich über Ihren Antrag, entschuldigt sie den Verzug nicht schriftlich mit guter Begründung und teilt Ihnen dabei gleichzeitig verbindlich mit, bis wann sie entscheiden wird, tritt gem. § 13 Abs. 3a S 6 SGB V die sogenannte Genehmigungsfiktion ein, die das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem Gerichtsurteil vom 8. November 2018 noch einmal gestärkt und patientenfreundlich konkretisiert hat. Kurz: Ihr Antrag gilt als genehmigt. Sie können die Leistung in Anspruch nehmen, und die Krankenkasse muss die Kosten übernehmen.
Ob aber die Genehmigungsfiktion wirklich eingetreten ist, sollte man sorgfältig prüfen: Können Sie den Nachweis über den Zeitpunkt des Antragseingangs bei der Krankenkasse erbringen (z. B. über ein Einwurfeinschreiben)? Haben Sie der Krankenkasse wirklich alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung gestellt, also im erforderlichen Maße mitgewirkt?
3. Widerspruch fristgerecht einlegen
Erhalten Sie fristgerecht eine schriftliche Ablehnung, haben Sie einen Monat Zeit, der Entscheidung Ihrer Krankenkasse zu widersprechen. Notieren Sie deshalb auf dem Bescheid das Datum, an dem Sie ihn erhalten haben, und bewahren Sie auch den Briefumschlag mit dem Datum des Poststempels auf. Wichtig: Prüfen Sie, ob der Bescheid wie gesetzlich vorgeschrieben auch einen Hinweis auf die Möglichkeit der Übermittlung per De-Mail (Urteil vom 5. Februar 2018) enthält. Wenn nicht, können Sie ihn als unwirksam betrachten.
Um die Frist zu wahren, reicht ein per Hand unterschriebener formloser Brief, den Sie am besten per Einwurfeinschreiben verschicken – per Telefon oder E-Mail ist der Widerspruch nicht gültig. An wen genau der Widerspruch zu richten ist, steht übrigens in der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Bescheids. Vermerken Sie in Ihrem Schreiben neben Ihrem Namen und Ihrer Versicherungsnummer, wogegen genau Sie Widerspruch einlegen (Datum, Aktenzeichen der Ablehnung). Führen Sie im Detail auf, warum Sie Cannabis als Medizin benötigen und warum Sie die Entscheidung der Krankenkasse für falsch halten. Eine Stellungnahme Ihres behandelnden Arztes kann hilfreich sein.
Brauchen Sie mehr als vier Wochen für eine ausführliche, schlüssige und sachliche Begründung, können Sie innerhalb der Frist erst einmal allgemein widersprechen. Die genauen Gründe und ggf. weitere Unterlagen liefern Sie dann nach. Beantragen Sie in Ihrem Widerspruchsschreiben auf jeden Fall, dass die Kasse den Ablehnungsbescheid aufhebt und die Kosten für Ihre Cannabis-Medikamente übernimmt.
Wenn Sie die Frist ohne Schuld versäumen, etwa wegen eines Krankenhausaufenthalts, teilen Sie das der Krankenkasse frühstmöglich mit und legen Sie gleichzeitig Widerspruch ein.
Übrigens: Die Monatsfrist gilt nur, wenn das Ablehnungsschreiben die gesetzlich geforderte Rechtsbehelfsbelehrung (§ 36 SGB X) enthält, in der Sie über Ihr Widerspruchsrecht aufgeklärt wurden. Fehlt dieser Hinweis, haben Sie ein ganzes Jahr Zeit zu widersprechen.
4. Informationen sammeln und Unterstützung finden
Das Selbsthilfenetzwerk – Cannabis – Medizin unterstützt Patienten, bei denen eine Therapie mit Cannabis die Krankheit oder die Beschwerden lindern kann. Mögliche Anlaufstellen sind auch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), die Versichertenältesten, die es bei vielen Krankenkassen gibt, oder die Verbraucherzentralen. Sie können sich auch von einem Anwalt beraten lassen,.
5. Anwalt schon jetzt mit ins Boot nehmen?
Wenn die Kasse Ihren Antrag abgelehnt hat und Sie Widerspruch einlegen wollen, kann das jetzt der günstige Zeitpunkt sein, einen Anwalt einzuschalten, am besten jemanden, der sich auf Medizin- oder Sozialrecht spezialisiert hat. Oftmals kann man dadurch gerichtliche Verfahren ganz vermeiden. Gut zu wissen: Hat Ihr Widerspruch Erfolg, muss Ihnen die Krankenkasse die entstandenen Beratungskosten erstatten.
Der Anwalt sorgt nicht nur dafür, dass die Widerspruchsfrist auf jeden Fall gewahrt wird. Er kann auch Akteneinsicht in Ihre Verwaltungsakte fordern – ohne Anwalt bekommt man diese nicht, sondern nur das MDK-Gutachten. So lässt sich frühzeitig analysieren, ob evtl. noch Arztberichte oder Unterlagen nachgereicht werden sollten oder ob die Kasse evtl. Formfehler gemacht hat, sodass man von einer Genehmigungsfiktion ausgehen kann. Ein erfahrener Anwalt kann auch abschätzen, ob etwa ein Antrag auf einstweilige Anordnung sinnvoll ist. Natürlich kann es sein, dass die Krankenkasse trotzdem stur bleibt, sodass sich ein Gerichtsverfahren nicht vermeiden lässt. Dann aber ist man gut vorbereitet und trägt nicht erst im Gerichtsverfahren etwas vor, was bis dahin überhaupt noch nicht mitgeteilt wurde.
6. Die Entscheidung der Kasse abwarten
Nach Ihrem Widerspruch holt die Krankenkasse in der Regel eine weitere Stellungnahme des MDK ein. Nicht selten fällt diese erneut negativ aus. Will die Krankenkasse Ihrem Widerspruch auch diesmal nicht stattgeben, leitet sie den Fall automatisch an ihren internen Widerspruchsausschuss weiter. Er ist aus Vertretern der Selbstverwaltung zusammengesetzt. Nach spätestens drei Monaten muss dessen Entscheidung bei Ihnen eingegangen sein.
Haben Sie den Eindruck, dass die Krankenkasse Ihnen Rechte vorenthält oder die Bearbeitung Ihres Falles ungebührlich lange dauert? Beschweren Sie sich bei der Aufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt in Bonn. Bleibt Ihr Widerspruch ohne befriedigende Begründung mehr als drei Monate unbeantwortet, erheben Sie Untätigkeitsklage beim Sozialgericht. Sie können sich auch an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung wenden. Falls Sie das Verhalten von Kassenmitarbeitern als unhöflich und respektlos empfinden, versuchen Sie, ruhig zu bleiben und die Form zu wahren. In schwerwiegenden Fällen können Sie Dienstaufsichtsbeschwerden an den Vorstand Ihrer Krankenversicherung richten.
7. Klage beim Sozialgericht besser mit Anwalt
Wird Ihr Widerspruch abgelehnt, haben Sie wiederum einen Monat Zeit, um dagegen beim Sozialgericht zu klagen. Ein Anwalt ist nicht vorgeschrieben, Sie dürfen sich selbst vertreten. Da das Sozialrecht sehr kompliziert ist, ist ein Rechtsbeistand unbedingt ratsam. Die Honorare sind gesetzlich begrenzt, Gerichtsgebühren fallen nicht an. Sozialgerichtsverfahren können mehrere Jahre dauern. In dringenden Fällen kann das Gericht eine Eilentscheidung treffen, etwa wenn Ihnen erhebliche gesundheitliche Nachteile drohen. Ansonsten müssen Sie Ihre Medikamente zunächst selbst bezahlen. Sammeln Sie Ihre Belege – das gilt auch für die Rechnungen des Anwalts. Wenn Sie vor Gericht Erfolg haben, muss die Krankenkasse Ihre Auslagen erstatten. Umgekehrt brauchen Sie die Gerichtsgebühren und die gegnerischen Kosten nicht zu tragen, falls Sie verlieren.
Auch nach einer Niederlage beim Sozialgericht gibt es noch Hoffnung. Sie können Berufung beim Landessozialgericht einlegen oder bei grundsätzlichen Fragen sogar bis zum Bundessozialgericht gehen.
8. Neuer Antrag jederzeit möglich
Sie können aber auch einfach einen neuen Kostenübernahmeantrag bei Ihrer Krankenkasse stellen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn sich in der Zwischenzeit neue Aspekte ergeben haben, die in Ihrem ersten Antrag noch keine Rolle spielten.
Tipp: Wenn Sie unzufrieden mit Ihrer Krankenkasse sind, können Sie auch in dieser Situation zu einer anderen Krankenkasse wechseln. Jede Kasse muss Sie aufnehmen, auch wenn Sie krank sind oder schon älter. Der Krankenkassenvergleich von Finanztip gibt einen Überblick über die Beitragssätze und Zusatzleistungen aller derzeit bundesweit oder regional geöffneten Krankenkassen. Die Leistungen sind bei allen Krankenkassen weitestgehend gleich. Unterschiede gibt es jedoch beim Service, bei der Bewilligung von Leistungen und beim Zusatzbeitrag, den die Kasse verlangt. Jede Krankenkasse kann außerdem Zusatzleistungen anbieten, etwa bei der Vorsorge oder alternativen Heilmethoden.
Wichtiges nur schriftlich klären
Falls Sie Anrufe von Ihrer Krankenkasse erhalten, bieten Sie an, fehlende Unterlagen nachzureichen, um Ihr Anliegen zu begründen. Lassen Sie sich aber nicht überreden, Ihren Widerspruch zurückzuziehen. Auch dann nicht, wenn die Krankenkassen Ihnen eine kulante Lösung in Aussicht stellt. Bitten Sie in dem Fall um ein schriftliches Angebot und prüfen Sie dieses mit Ihrem Ratgeber. Auf mündliche Zusagen können Sie sich im Zweifelsfall nicht berufen.
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