Gehört die Ruderalis zu den Cannabisgewächsen oder handelt es sich dabei um eine andere Pflanzengattung? Darüber diskutieren Botaniker schon seit Jahrzehnten. Dessen ungeachtet nimmt diese wenig bekannte Pflanze in der Marihuana-Industrie eine zunehmend bedeutende Stellung ein. Woher aber stammt die Ruderalis? Besitzt sie gute THC-Konzentrationen? Und welche medizinischen Eigenschaften hat sie?
Cannabis ruderalis und seine Herkunft
1924 stieß der russische Botaniker D.E. Janischevski auf ungewöhnliche Cannabispflanzen, die in Südrussland blühten. Er stellte fest, dass diese Pflanzen sich vom herkömmlichen Hanf sowohl in ihrer Größe, als auch ihrer Form und der Schale ihrer Samen unterschieden. Janischevski gab ihnen den Namen Cannabis ruderalis.
Der Begriff kommt vom lateinischen Wort »rudera«. Seine Singularform ist »rudus«, was soviel bedeutet wie Klumpen oder Geröll. Eine Ruderalpflanze ist eine wildwachsende Pflanze, die vor allem auf von Menschenhand zerstörtem Boden gedeiht. So gilt zum Beispiel eine Spezies, die sich auf Brachland ausbreitet oder im Umfeld von menschlichen Behausungen wächst, als ruderal.
Die Ruderalis gedeiht in vielen Teilen der Welt, darunter wie schon erwähnt, auch den südlichen Teilen der ehemaligen UdSSR. Weiter wächst sie im asiatischen Himalaja. Häufig anzutreffen ist sie vor allem in Regionen, wo in der Vergangenheit große Mengen an Hanf angebaut wurden, zum Beispiel im nordamerikanischen mittleren Westen. Zudem blüht die wilde Ruderalis auch in Estland, Lettland und weiteren Mittel- und osteuropäischen Staaten.
Sie könnte daher von kultiviertem Hanf abstammen, der sich vom künstlichen Anbau »befreit« hat, um dann wild zu wachsen. Davon gehen zumindest einige Forscher nach Auswertung alter Fotografien von wildwachsender Ruderalis aus, die nahe der ukrainisch-ungarischen Grenze aufgenommen wurden. Die Bilder zeigen Ruderalispflanzen mit einem starken Hauptstängel und spärlichen Seitentrieben (Apikaldominanz). Diese Charakteristika sind typisch für ein spontanes, unkontrolliertes »Entwischen« von kultiviertem Hanf.
Einzigartige Eigenschaften des Cannabis ruderalis
Cannabis ruderalis ist kürzer als Cannabis sativa und wird normalerweise nicht höher als ca. 60 cm. Die Pflanze ist überwiegend frei von Zweigen, besitzt jedoch einen robusten, faserigen (klobigen) Stängel.
Im Gegensatz zu den Cannabisarten Sativa und Indica besitzt die Ruderalis selbstblühende Fähigkeiten. In anderen Worten: sie ist nicht von den Lichtbedingungen abhängig, um Blüten zu treiben. Stattdessen erzeugt diese Pflanze ihre Knospen und Blüten nachdem sie ausgereift ist. Typischerweise beginnt die Ruderalis im Alter von 21 bis 30 Tagen automatisch zu blühen. Weiter typisch ist, dass diese Pflanze schon siebzig Tage nach ihrem Keimen fähig ist, erntereifes Saatgut zu produzieren. Ihr Überleben verdankt sie vor allem ihrer Anpassung an kühlere Klimabedingungen, denen Arten wie die Sativa wahrscheinlich kaum standgehalten hätten.
Bei seinen Untersuchungen der Ruderalis stellte Janischevski fest, dass die Pflanze blühte, obwohl sie von einer bestimmten roten Insektenart befallen war. Diese Käfer ernährten sich von dem fetthaltigen Gewebe am Boden ihrer Früchte (Samen). Der Botaniker beobachtete eine erstaunliche Symbiose, bei der »der wilde Hanf« seinen Vorteil daraus gewann, dass die roten Käfer seine Samen verbreiteten. Dennoch dachte er nicht, dass dieser von ihm entdeckte Wildhanf eine eigene Cannabisspezies darstellte.
»Trotz dem bemerkenswerten Polymorphismus von Hanf und trotz der Versuche vereinzelter Pflanzenforscher, daraus Sonderspezies zu isolieren, wird in der systematischen Klassifizierung für den gesamten Cannabis-Genus nur eine Spezies allgemein anerkannt – der Cannabis sativa. Sämtliche weiteren unter diesem Genus eingestuften Spezies wurden bestenfalls zu Varianten reduziert und werden häufig als identische Formen von Cannabis sativa betrachtet.«
Zahlreiche andere Botaniker glauben ebenfalls, die Ruderalis sei eher eine Variante von Cannabis als eine vollkommen eigenständige Spezies. Sie alle beteuern, bei Sativa, Ruderalis und Indica handle es sich ausnahmslos um Unterarten einer einzigen Pflanzengattung: der Cannabis sativa.
Warum selbstblühende Eigenschaften für Cannabis-Bauern wichtig sind
Bis vor kurzem waren Cannabisbauern an der Ruderalis völlig desinteressiert. Grund dafür ist, dass diese Sorte nur einen geringen THC-Gehalt besitzt – also wenig von der psychoaktiven (berauschenden) Komponente des Marihuana. Die Eigenschaften der Pflanze als Selbstblüher sind jedoch sowohl für Anbauer von Cannabis als Rausch-, wie auch als Arzneimittel von Nutzen. In diesen Tagen hält die Ruderalis einen triumphalen Einzug in die Szene des Cannabisanbaus. Zu verdanken hat sie diesen ihrer Fähigkeit, viel schneller Blüten zu treiben als die Indica oder die Sativa, die dabei noch auf zusätzliche Pflege angewiesen sind. So blüht zum Beispiel Cannabis sativa nur unter ganz besonderen Lichtbedingungen. Sein Blühvorgang beginnt, nachdem er zunächst täglich mindestens zwölf Stunden lang vollständiger Dunkelheit ausgesetzt wurde. Daher müssen die Bauern die Blütephase ihrer Indica- oder Sativa-Pflanzen meist durch künstliche Innenbeleuchtung aktivieren. Bei der Ruderalis hingegen wird die Blüte einzig und allein durch Alter und Reife der Pflanze ausgelöst.
Nach einer Studie der International Society for the Study of Drug Policy (ISSDP) über die Cannabisindustrie macht die Fähigkeit der Ruderalis, unabhängig von den Lichtbedingungen ihrer Umgebung zu blühen, diese zu einer pflegeleichten Anbaupflanze. Daher verspricht sie auch unerfahrenen Bauern einfache Startbedingungen. Dieselbe Studie fand heraus, dass ihre selbstblühenden Eigenschaften sogar mehrere Ernten jährlich ermöglichen, vorausgesetzt, die Ruderalis wächst im Freien.
Mischformen aus Ruderalis und Cannabis: die Vorteile der Hybridisierung
Heute machen sich Cannabisbauern die Keimfähigkeit der Ruderalis zunutze, indem sie sie mit Cannabis sativa oder indica kreuzen. Aus dieser Hybridisierung entstanden verschiedenste Cannabis-züchtungen mit selbstblühenden Eigenschaften.
Nach einer Umfrage unter Aktionären aus der Cannabisindustrie (darunter Bauern, Vertreiber und Samenkäufer), stellten die an der erwähnten ISSDP-Studie beteiligten Forscher Folgendes fest:
- Die Ruderalis kann ihren Kreuzungen mit anderen Cannabispflanzen wertvolle genetische Eigenschaften weitergeben. Indem man diese Unterspezies zur Hybridisierung verwendet, eröffnen sich Möglichkeiten zur Manipulation der Charakteristika ihrer Mischzüchtungen.
- Durch die Hybridisierung von Ruderalis können Cannabissorten entstehen, die aufgrund ihrer Eigenschaft als Selbstblüher für den Innenraum-Anbau geeignet sind. Traditionelle Sorten wie die Sativa oder die Indica beginnen ihre Blütezeit unter Innenraumbedingungen zu spät. Das liegt daran, dass der Lichtzyklus in Räumen für sie ungeeignet ist.
- Einige selbstblühende Cannabishybride sind für den Anbau im Freien geeignet. In diesem Fall hat auch einige Stunden von Sonnenlicht keinen Einfluss auf ihre Blütezeit.
- Die Hybridisierung der Ruderalis bringt Cannabissorten hervor, die kleiner sind als reine Sativa- oder Indica-Pflanzen. Dieses Attribut kommt Cannabisbauern, die sich lieber nicht outen wollen, sehr gelegen. Weiter ist ihre kompaktere Größe auch ideal dazu geeignet, diese Art in kleineren Räumen, zum Beispiel im eigenen Heim zu ziehen.
- Die Hybridisierung hat den Anbau von Cannabis wesentlich vereinfacht, da die selbstblühenden Cannabissorten keine Lichtkontrolle brauchen, um Blüten zu produzieren. Aus diesem Grund sind die Hybride auch für wenig erfahrene Anbauer äußerst attraktiv.
- Die Ruderalis ist von Natur aus widerstandsfähig genug, auch unter kalten Klimabedingungen zu überleben. Diese Eigenschaft wird durch Kreuzungen auch an ihre Hybride übergeben. Daher ist eine Cannabispflanze mit Ruderalis-Genen auch für solche Bauern eine attraktive Option, die in den kälteren Regionen der Erde beheimatet sind.
Was gegen die Benutzung von Ruderalis zur Hybridisierung spricht
Die Ruderalis hat einige angeborene Mängel, die in jedem Cannabishybrid mit Ruderalis-Genen dominant werden könnten. Den Wissenschaftlern der ISSDP zufolge besitzen die meisten Ruderalis-Hybride folgende Nachteile:
- Einen geringen THC-Anteil: von Natur aus ist die Ruderalis eine Cannabis-Unterart mit niedriger Potenz, was bedeutet, dass ihre psychoaktive (berauschende) THC-Komponente gering ist. Die meisten Ruderalis-Hybride erben diese Eigenschaft.
- Geringer Ertrag: Die IISDP-Daten zeigen, dass selbstblühende Cannabissorten beim Anbau im Freien durchschnittlich einen Ertrag von 85,6g pro Pflanze ergeben. Reguläres Saatgut hingegen ergibt, ebenfalls bei Anbau im Freien, einen Durchschnittsertrag von 483 g pro Pflanze. Beim Anbau in Innenräumen zeigte sich der Studie zufolge kein nennenswerter Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Ertrag von selbstblühenden Cannabishybriden (365 g/m²) und regulärem Saatgut (388 g/m²).
- Zur Veredelung (Grafting) ungeeignet: Cannabispflanzen mit Ruderalis sind nicht zur Veredelung durch Aufpfropfen geeignet. Das liegt daran, dass diese Sorten genetisch »vorprogrammiert« sind, in einem bestimmten Alter zu blühen. Wenn man daher den Ableger einer Ruderalis-Pflanze nimmt und diesen auf eine andere Cannabissorte pfropft, überträgt man die »hartverdrahtete« Selbstblüher-Programmierung auf den Klon.
Der medizinische Gebrauch von Ruderalis
Einige Anbauer kreuzen die Ruderalis mit CBD-reichen Cannabissorten. Das daraus entstehende Hybrid erbt die selbstblühenden Eigenschaften der Ruderalis und die CBD-haltigen Eigenschaften des Kreuzungspartners. CBD oder Cannabidiol ist ein wichtiger Inhaltsstoff von medizinischem Marihuana.
So gilt es zum Beispiel als wissenschaftlich abgesichert, dass CBD bestimmte Formen der Epilepsie bei Kindern behandeln kann. Es kann auch Symptome des Dravet-Syndrom lindern − einen Zustand, der gegen herkömmliche antikonvulsive Medikamente völlig resistent ist.
Weiter kann CBD laut der American Headache Society auch beim Schmerzmanagement helfen.
Ruderalis als Rohstoff für industriellen Hanf
Hanf kann jede der drei Hauptarten von Cannabis sein, Sativa, Indica oder Ruderalis. Erstens stammt das gesamte domestizierte Cannabis-Saatgut, das heute in den verschiedensten Teilen der Erde blüht − darunter auch die Ruderalis − von viel älteren kultivierten Hanffaser-Pflanzen ab. Als solche kann diese Unterart bei spezifischen Anbaubedingungen in mancher Hinsicht den von der Industrie verarbeiteten Hanfsorten ähneln. Eines der Merkmale von Industriehanf ist sein geringer THC-Anteil, der ihn von anderen Cannabis-Arten unterscheidet.
In Deutschland beträgt die gesetzlich zulässige THC-Konzentration in Hanf 0,2 % oder weniger. In der Schweiz ist die Höchstgrenze 1% und in Österreich 0,3%. Die Pflanze wird weltweit für über 25,000 unterschiedliche Produkte verwendet. Sie darf inzwischen bereits in vielen Staaten legal kultiviert werden, darunter Kanada und den USA. Da sie nur einen geringen Anteil an der berauschenden Substanz THC hat, ist sie auch für die Lebensmittelindustrie geeignet.
Einige Bauern bauen Hanf zur Gewinnung von Saatgut an. Im Wesentlichen handelt es sich bei diesen Samen um Nahrungsmittel, da sie reich an Nährstoffen wie Proteinen, Eisen und Omega-3-Fettsäuren sind. Hanfsamen können auch zu Öl für den menschlichen Konsum verarbeitet werden. Weiter dient Hanf als Rohstoff für fasererzeugende Industrien. Er ist eine nützliche Quelle in der Fabrikation von Papier, Baustoffen und Textilien.
Zusammenfassung zur Cannabis ruderalis Pflanze
Ob es sich bei der Ruderalis nun um eine eigene Spezies oder eine Unterart von Cannabis handeln mag – auf jeden Fall blickt die Pflanze auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurück. Heute erweckt sie aufgrund ihres selbstblühenden Saatguts zunehmend das Interesse von Cannabisbauern, sei es zum Anbau von Cannabis als Genuss- oder auch als Arzneimittel. Wenn man sie mit Sativa oder Indica-Sorten kreuzt, entstehen selbstblühende Hybride mit einem bestimmten CBD- oder THC-Gehalt. Weiter ist die Ruderalis auch eine mit der Kultivierung von Hanf zur industriellen Verarbeitung assoziierte Unterspezies der Cannabis Pflanze.
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